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Die „Anstalt“ verschwindet

16.02.2010

Die NRD gestaltet ihre Angebote um: Regional, kleinteilig und gemeindenah

Es war spannender als Kino, und so mancher stand ab Mitte Oktober stundenlang gebannt am Bauzaun, um die drastischen Schläge und Bisse zu verfolgen, die der große Bagger dem Dach und den Mauern des Fliednerhauses zufügte. Vor Weihnachten war das Haus dann verschwunden und seitdem bedeckte der Schnee die glatte 5000-Quadratmeter-Fläche, die nun den Blick frei gibt vom Gelände in den Ort und auch zurück.

Der Abriss des Fliednerhauses, in dem zuletzt 82 Menschen lebten, hat allen, die in der NRD leben und arbeiten, aber auch den Bürgern in Mühltal/Nieder-Ramstadt endgültig signalisiert: Die NRD verändert sich. Die größte südhessische Einrichtung der Behindertenhilfe, die noch vor 14 Jahren auf zwei Standorte begrenzt war – Nieder-Ramstadt und Jugenheim in Rheinhessen – ist heute bereits an 16 verschiedenen Orten in Hessen und Rheinland-Pfalz zu finden. Der Prozess der Regionalisierung, seit Mitte der 90er Jahre in Vorbereitung, und seit 2005 per Beschluss der NRD-Gremien unumkehrbar im Gange, geht schrittweise vor sich und hat das Ziel, bis 2015 insgesamt 400 stationäre Wohnplätze vom Kerngelände in Nieder-Ramstadt in die gesamte südhessische Region zu verlagern. Nur noch 70 Menschen mit Behinderung werden schließlich auf dem zwölf Hektar großen Gelände leben, auf dem einst 570 und gegenwärtig noch 370 Personen in meist großen kasernenartigen Häusern leben.

 

Warum das Ganze? Die Menschen waren doch gut versorgt? Warum werden Häuser nicht mehr genutzt und andernorts neue gebaut? Dies sind nur einige der häufig gestellten Fragen zum Regionalisierungs-Prozess der NRD. Und es gibt viele einleuchtende Antworten. Die wichtigste zuerst: Menschen mit Behinderung müssen aufgrund ihrer Beeinträchtigung nicht in Sonderwelten leben. Sie haben ein Recht auf Teilhabe und Normalität.

 

Vor 100 bis 150 Jahren, als all die großen Einrichtungen gegründet wurden, um erstmals Menschen mit Epilepsie angemessen zu versorgen, hat man das anders gesehen. Es war segensreich, dass Menschen überhaupt eine Chance hatten, versorgt zu werden.

 

Inzwischen leben wir in einer anderen Zeit, mit ganz neuen gesellschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen. In der Behindertenhilfe hat eine hohe Fachlichkeit Einzug gehalten. Die Angebote innerhalb der Einrichtungen sind höchst unterschiedlich – so unterschiedlich wie die Bedürfnisse der Menschen. Es gibt Werkstätten und Tagesstätten, es gibt gemischte Wohngruppen für Frauen und Männer, kleine Apartments für Paare. Aber muss all dies gebündelt in einer Großeinrichtung, in einer Anstalt angeboten werden? Eindeutig nicht.

 

„Selbstbestimmt leben!“ diese Forderung formulierten als erste Menschen mit körperlichen Behinderungen, inzwischen tun e4s auch geistig behinderte Menschen und ihre Angehörigen.

 „Warum müssen wir eigentlich in einem Heim leben?“, fragten vor zehn Jahren Bewohner der NRD die Politiker, die zum Wahlkampf in die Einrichtungen gekommen waren. Den Volksvertretern blieb fast die Spucke weg und es fiel ihnen keine wirklich überzeugende Antwort ein.

 

Inzwischen sagen auch Politiker: Die Zeit der Anstalten ist vorbei. Denn die Anstalt steht in krassem Widerspruch zum Grundgesetz („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“) und auch zur UN-Konvention, die die Bundesrepublik Deutschland als 50. Vertragspartner unterzeichnet hat. Die UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen stellt einen Meilenstein in der Behindertenpolitik dar. Sie formuliert das Recht auf Selbstbestimmung, Teilhabe und umfassenden Diskriminierungsschutz als Menschenrecht und fordert eine barrierefreie Inklusions-Gesellschaft.

 

Inklusion bedeutet: Alles gehört zusammen. Unsere Gesellschaft beginnt zu spüren, dass es gar nicht gut ist, alles zu trennen. Dass Menschen mit Behinderung jetzt und in Zukunft mitten in der Gesellschaft leben, wird nicht nur sie selbst weiter bringen. Es nützt auch der Gesellschaft insgesamt, barrierefreier zu werden.

 

Weil Integration und Teilhabe nicht vereinbar sind mit einer kasernenartigen Großeinrichtung, hat die NRD beschlossen, den Weg der Regionalisierung zu gehen. „Menschen mit Behinderung sollen stationäre und auch ambulante Angebote in Zukunft dort vorfinden, wo sie mit ihren Familien leben, anstatt auf eine weit entfernte Einrichtung angewiesen zu sein“, sagt NRD-Vorstand Hans-Christoph Maurer.

 

Menschen mit Behinderung treten in Erscheinung und zeigen uns allen: Wir wollen dabei sein. Im Fußball-Stadion, im Supermarkt, beim Arzt und Friseur, im Theater, in der Disco und im Gottesdienst.

 

Die bisherigen Erfahrungen bestätigen, dass die NRD auf dem richtigen Weg ist: Keiner der neuen Seeheimer, die im vergangenen Jahr von Nieder-Ramstadt an die Bergstraße umgezogen sind  – und nun in kleinen Wohngemeinschaften mitten im Ort leben, will wieder zurück nach Nieder-Ramstadt. Dasselbe gilt für die Mitarbeiter, die jetzt ohne zentrale Dienste auskommen müssen und stattdessen vor Ort Ärzte und Geschäfte aufsuchen und die Waschmaschine bedienen.

 

Normal zu wohnen, in Gemeinschaften von Familiengröße – das wirkt sich aufs Verhalten aus. Die Bedürfnisse von Menschen, die zum Teil jahrzehntelang in Nieder-Ramstadt in einem Haus für 100 Menschen lebten, verändern sich mit der Normalität des Wohnens. In Seeheim sucht man Ehrenamtliche, die gern  Motorrad fahren und die bereit sind, einen behinderten Menschen im Beiwagen mitzunehmen. Wie kommt es, dass einer, der jahrzehntelang in der NRD, diesen Wunsch erst jetzt formuliert? Warum kam der Mensch, der jetzt Motorrad fahren möchte, nicht auf diese Idee, als er noch im Bodelschwingh-Haus in Nieder-Ramstadt lebte? Der renommierte Architekt und Stadtplaner Daniel Libeskind gibt eine erhellende Auskunft: „Den Menschen wird langsam bewusst, dass Architektur zu tun hat mit Freiheit oder Gefangensein – Architektur spielt keine unschuldige Rolle.“

 

 

 

Wohnviertel mit kommunalen Angeboten

 

Der Aufbau von kleinteiligen Wohnangeboten für Menschen mit Behinderungen in der Region Südhessen bringt viele Baustellen für die NRD mit sich: Geeignete Wohnhäuser müssen in Stadt und Land gefunden und barrierefrei umgebaut oder neu geplant und gebaut werden. Aber auch das Gelände in Nieder-Ramstadt wird dadurch nach und nach zur Baustelle. Denn einzelne Häuser werden abgerissen, andere in Zukunft nicht mehr von der NRD selbst genutzt werden. Nur noch etwa die Hälfte des 12 Hektar großen Geländes im Herzen von Mühltal mit seinen sechs Ortsteilen wird die NRD künftig selbst noch brauchen. Bleiben werden die Mühltalwerkstatt , die Tagesstätte mit Förder- und Betreuungsangeboten für schwer behinderte Menschen, die Wichernschule  und etwa siebzig Wohnheimplätze in kleinen Häusern, darunter zwei Häuser für Menschen mit Autismus und mehrere Neubauten für 24 Kinder und Jugendliche.

 

Und was wird aus dem freiwerdenden Gelände? Es wird sich verwandeln in ein neues, zentrales Viertel von Nieder-Ramstadt mit Wohnhäusern für Familien und Senioren, mit kommunalen Angeboten wie Krabbelgruppen für Kinder unter drei Jahren. Außerdem möchte die Gemeinde Mühltal im Rahmen eines Gesamtkonzepts für alte und pflegebedürftige Menschen ein Pflegeheim mit 48 Plätzen, Tagespflege und ambulanter Pflegestation in Trägerschaft der diakonischen Mission Leben realisieren.

                                                                                                        Marlene Broeckers

 

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  • Inklusion...

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