06.02.2012
Menschen mit Behinderung bei der Arbeit in der NRD-Tagesstätte
Mühltal.- Es ist sehr ruhig in dem großen Raum der Tagesstätte. Vier Arbeitsplätze sind hier eingerichtet, an denen Isabell Wenner und ihre drei Kollegen konzentriert ihrer Tätigkeit nachgehen. Fotos und Dias einzuscannen und in digitale Dokumente zu verwandeln, das ist der Job dieser vier Tagesstätten-Klienten. Sie bilden ein kleines Team innerhalb des Tagesstätten-Teams 5 der Mühltal-Werkstatt der Nieder-Ramstädter Diakonie (NRD). Ihnen ist gemeinsam, dass sie Menschen mit Autismus sind. Alle sind stark ausgeprägte Individualisten, die dadurch „gemeinschaftsfähig“ werden, dass es feste Regeln und Strukturen gibt. Dass unter dieser Voraussetzung auch ein sehr effektives und wertschöpfendes Arbeiten möglich ist, haben Isabell Wenner und ihre drei Kollegen in den letzten zwei Jahren bewiesen.
Die Vier haben in der Tagesstätte eine berufliche Fortbildung absolviert: Sie können jetzt Dias und Fotos digitalisieren und verdienen dabei 9 Cent pro Stück. Aufträge nimmt das Team von anderen Bereichen in der NRD entgegen, aber auch von externen Kunden. So wurden beispielsweise schon viele hundert historische Aufnahmen aus der Geschichte der NRD in elektronische Daten verwandelt, ebenso aber auch private Urlaubsfotos und -Dias von Kunden, die schöne Erinnerungen künftig gern platzsparend speichern wollen.
62 Dias pro Woche und Scanner, das macht bei vier Scannern rund 1000 digitale Aufnahmen im Monat. Für jedes Dia oder Foto brauchen die Beschäftigten etwa vier Minuten. Hinzu kommt die Vor- und Nachbereitung. So müssen alle Dias in einem Magazin gezählt werden, bevor sie auf den Scanner kommen. Und nachher muss die Zahl der Dateien mit der der Dias übereinstimmen. Dann kann ein Ordner erstellt, mit Namen versehen und alle Dateien können darin abgespeichert werden.
Fast 20.000 Bilder wurden eingescannt, seit die Gruppe vor zwei Jahren die Arbeit aufgenommen hat. Diese beachtliche Zahl nahm Teamleiter Ivo Radon zum Anlass, den vier Beschäftigten zu gratulieren und jedem ein Zertifikat zum erfolgreichen Abschluss ihrer beruflichen Fortbildung zu überreichen. Das Konzept der Fortbildung wurde von Ivon Radon und seinen Team-Kollegen selbst erarbeitet, um den Fähigkeiten und dem Unterstützungsbedarf eines jeden Beschäftigten gerecht zu werden. Das Zertifikat besitzt keine offizielle keine Gültigkeit, aber es bescheinigt den Beschäftigten Fähigkeiten, die sie neu erlernt haben und nun perfekt beherrschen – einschließlich der Selbstbeherrschung, die erforderlich ist, wenn ein PC mal nicht so funktioniert, wie er soll. Angestoßen wurde auf den Erfolg mit Zitronenlimonade und als Wunsch-Mittagessen an diesem besonderen Tag gab es Steinofen-Pizza aus der Kühltruhe.
Die Tätigkeit der Scanner-Gruppe im Team 5 der Tagesstätte Mühltal entspricht der neuen konzeptionellen Grundlage zur Beschäftigung von Menschen mit schweren Beeinträchtigungen, die seit August 2010 für die Arbeit in den Tagesstätten der NRD gilt. Die Tagesstätten sollen sich mit ihren Arbeits- und Beschäftigungsangebote der Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) annähern, anstatt – wie es bislang eher üblich war – überwiegend pädagogisch-therapeutische Ansätze zu verfolgen. Einfach ausgedrückt heißt das: Auch schwer behinderte Menschen können und wollen arbeiten, produzieren, etwas Wertvolles schaffen – wenn man es ihnen zutraut und die nötigen Rahmenbedingungen bereitstellt.
Wie sich zeigte, sind die Tagesstätten-Teams erfinderisch. Die einen backen Leckerlis für Hunde, die anderen kochen Marmelade, wieder andere schöpfen Papier oder sind Dienstleister, indem sie Altglas und Papier entsorgen oder die Materialverteilung für mehrere Gruppen übernehmen.
In der Scanner-Gruppe war es einer der Beschäftigten, der die Idee hatte. Mit einem Werbeprospekt kam Markus Faulhaber, der im Wohnverbund Seeheim lebt, eines Morgens in die Tagesstätte: „Das könnten wir auch machen“, erklärte er dem Teamleiter und zeigte auf einen abgebildeten Scanner. Ivo Radon, der vor seiner Ausbildung zum Heilerziehungspfleger als Druckvorlagen-Hersteller tätig war, fand sofort Gefallen an der Idee und bekam grünes Licht für die Anschaffung eines ersten Scanners. Daniel Vollmar war 2009 der erste der Beschäftigten, der lernte, mit Scanner und PC umzugehen. Einer nach dem anderen stieg ein, weitere Scanner und gebrauchte PCs wurden angeschafft, so dass alle vier nun ihren vollständig ausgerüsteten eigenen Arbeitsplatz haben. Für Isabel Wenner mussten aufgrund ihrer Sehbehinderung besondere Hilfsmittel besorgt werden: Statt mit der Maus arbeitet sie mit einer großen Tastatur, die am oberen Rand des Bildschirms angebracht ist. Die Tastatur braucht sie auch zum Schreiben, denn sie legt für jedes Dia-Magazin einen Ordner an, der natürlich einen Namen braucht. Über einen Kopfhörer, der jeden getippten Buchstaben akustisch wiedergibt, kann sie kontrollieren, dass sie sich nicht vertippt hat.
„Alle haben mit der Fortbildung eine große Leistung erbracht“, stellte Ivo Radon in der Feierstunde fest.
Menschen mit Behinderung brauchen Ihre Hilfe!
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