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Mühltal und die NRD

08.08.2024

Mühltal und die NRD

Vortrag von NRD-Vorstand Christian Fuhrmann am Kerbsamstag in der Ortskirche

Im kommenden Jahr feiert die NRD ihr 125-jähriges Bestehen in Nieder-Ramstadt. 125 Jahre mit vielen bewegten und bewegenden Meilensteinen in der gemeinsamen Geschichte der NRD und der Gemeinde Mühltal, die mit der Weiterentwicklung der NRD-Angebote, der Gestaltung des inklusiven Wohnquartiers am Dornberg oder dem Ausbau der Kinderbetreuung auch zukünftig viele Chancen und Herausforderung mit sich bringen wird.

„Mühltal und die NRD – nachhaltige Geschichte mit gemeinsamer Zukunft“ nannte daher NRD-Vorstand Christian Fuhrmann seinen Vortrag, den er am Kerbsamstag in der Ortskirche in Nieder-Ramstadt hielt.

Die nachfolgende Zusammenfassung des Vortrags von Rebecca Keller erscheint auch im kommenden Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinde:

Zu dem Vortrag in die Ortskirche eingeladen hatte die Stiftung Segensreich gemeinsam mit dem Arbeitskreis Heimatgeschichte Mühltal. Neben den Kerbborschen, die in den ersten Reihen saßen, waren rund 60 Interessierte gekommen. Im Anschluss verköstigten der Vorsitzende des Stiftungsvorstands André Dillmann und weitere Ehrenamtliche die Besucherinnen und Besucher mit Wein und Brezeln.

Christian Fuhrmann, seit 2017 kaufmännischer Vorstand der Nieder-Ramstädter Diakonie, spannte einen weiten Bogen von der Entstehung der damaligen „Anstalt für Epileptische“ bis zur heutigen Einrichtung mit vielfältigen Arbeitsbereichen. Im nächsten Jahr feiert die Nieder-Ramstädter Diakonie ihr 125-jähriges Bestehen. Auch der pädagogische Vorstand der NRD, Dr. Thorsten Hinz, sowie der Vorsitzende des Stiftungsvorstands, Arno Allmann, waren anwesend.

Fuhrmann skizzierte die Anfänge der NRD Ende des 19. Jahrhunderts und hob hervor, dass „die Kirche den Nährboden für die NRD gelegt“ habe, wie etwa durch Kollekten und Sammlungen. Zudem hätten Spender aus dem Bürgertum wie der Großindustrielle Carl Dörr aus Nieder-Ramstadt ihren Beitrag geleistet, während der Staat finanziell noch zurückhaltend gewesen sei. Die Gemeinde Nieder-Ramstadt habe ein Stück Land nahe dem Ort zur Gründung einer Anstalt für Epileptische für 9634 Reichsmark verkauft. Der Gemeinderat habe ebenfalls die Erlaubnis dafür erteilt, dass hier gebaut werden dürfe. Der Weg zum Wohngebiet Dornberg in der jüngeren Vergangenheit sei vergleichsweise schwieriger gewesen, merkte Fuhrmann an. Anhand von Fotografien zeigte er, wie der Ort im Laufe der Jahrzehnte baulich immer näher an die Anstalt herangerückt sei. Heute sei die NRD „ein Teil von Nieder-Ramstadt“.

Kaum ein Jahr nach der Gründung, im Oktober 1900, stand bereits das erste Haus, das Frauenhaus, ab 1955 Fliednerhaus. Genauso wie das Männerhaus, das spätere Bodelschwingh-Haus, das ebenfalls in nur einem Jahr erbaut und 1909 in Betrieb genommen wurde. Fuhrmann erwähnte auch die „Dankesgroschengemeinde“, die von 1890 bis 1993 bestanden habe und – von Frauen wie den Ehefrauen von Pfarrer Wilhelm Röhricht oder Pfarrer Hermann Gunkel geleitet – das Pflegegeld für Menschen mit Behinderung in der Einrichtung bezuschusst hätten.


Präsentation in der Evangelischen Kirche Nieder-Ramstadt

Auch auf die „dunkle Zeit“, die NS-Zeit, ging Fuhrmann ein, in der die Einrichtung unter staatliche Gewalt gestellt und bis zu 500 Menschen mit Behinderung in grauen Bussen in die Vernichtungsanstalt nach Hadamar abtransportiert wurden. Als „Sternstunde der Gemeindepolitik“ bezeichnete Fuhrmann die Entscheidung, die neuen Straßen durch das Kerngelände der NRD nach den Deportierten Elsa Eislöffel, Geschwister Lorey und Ludwig Germann zu benennen.

In den Jahrzehnten nach dem Krieg habe sich das Menschenbild verändert: Menschen mit Behinderung seien nicht mehr als „Objekt der Fürsorge“ angesehen worden. Auch die Leitung der NRD habe sich neu aufgestellt, so dass nicht mehr ein Arzt und ein Pfarrer die Geschicke bestimmten. Mit dem Bau der Wohneinheit Pulvermühle im Ort sei bereits eine „Mini-Regionalisierung“ erfolgt. 2005 sei der Entschluss zur Regionalisierung, also der Verlegung der Wohnangebote vom Zentralgelände in die Region, gefasst worden. Dieser Prozess sei durch Mittel von „Aktion Mensch“ stark unterstützt worden. Heute gebe es an mehr als 50 Standorten in Hessen und Rheinland-Pfalz kleinteilige Wohnangebote nach dem Motto „Leben so normal wie möglich“.

„Die Frage der sozialstaatlichen Finanzierungskraft muss heute hinterfragt werden“, so Fuhrmann. Menschenrechte seien nicht budgetierbar. In Mühltal betreibt die NRD zudem Werkstätten, die Wichernschule, den Familienunterstützenden Dienst, den Sonnenhof, ein Altenheim mit ambulantem Pflegedienst und Tagesbetreuung, den Gartenmarkt sowie eine Kita. Vor zehn Jahren hat die NRD begonnen, Grundstücke für das neue Gewerbegebiet „Auf Ruckelshausen“ am Ort zu veräußern – ein gemeinsamer Prozess mit der Gemeinde. Zudem sei der Fliednerplatz mit Geschäften, Apotheke, Arztpraxen und dem Bewegungsbad zu einem „prägenden Ort“ für die Gemeinde geworden. Hier fanden unter anderem Demonstrationen für die Demokratie Anfang des Jahres statt.

Im nächsten Jahr soll das Wohngebiet Dornberg mit dem Bau der Wohnhöfe mit der Firma Oekogenio zum inklusiven Quartier weiterentwickelt werden. Zur NRD gehören heute rund 5000 Klientinnen und Klienten, sie hat 2600 Mitarbeitende, davon 852 allein in Mühltal. 900 Menschen arbeiten in den Werkstätten. Pfarrer Christoph Mohr wies am Ende des Vortrags noch auf die „Zusammenführung“ der Lazarusgemeinde und der Ortskirchengemeinde 2018 zu einer inklusiven Gemeinde hin.

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