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Vor, zurück – dann endlich Start. 25 Jahre Betreutes Wohnen in der NRD

02.10.2017 | Marlene Broeckers

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Marlene Broeckers

Texterin der NRD

Vor, zurück – dann endlich Start. 25 Jahre Betreutes Wohnen in der NRD

Mit drei Klienten begann vor 25 Jahren die Geschichte des Betreuten Wohnens (BW) in der NRD. Heute leben rund 150 Personen im Landkreis Darmstadt-Dieburg von der NRD begleitet in dieser Wohnform. Die Sozialpädagogin Ulrike Lüttge, erste Teamleiterin des BW, erzählt, wie alles anfing. Sie begleitete Thomas Hötzel, der sich stolz als „dienstältesten Klienten des betreuten Wohnens in der NRD“ bezeichnet, beim Auszug.

Seit 1986 ist für Menschen mit geistiger Behinderung in Hessen das Betreute Wohnen möglich. Vorher stand diese Wohnform nur Menschen mit psychischer Erkrankung zu Verfügung und die Rahmenbedingungen – Personalschlüssel und bewilligte Betreuungsstunden – waren dieser Zielgruppe angepasst. Ein erster Startversuch mit drei Klienten im Jahr 1989 scheiterte, weil die damaligen Nieder-Ramstädter Heime noch nicht wirklich bereit dazu waren. Die Diplom-Pädagogin Ursula Pforr, die den Versuch gewagt hatte, verließ die Heime und gründete einen eigenen Verein, das Betreute Wohnen Darmstadt e.V.

Auch der zweite Anlauf Ende 1991 drohte im Keim zu ersticken, denn der damalige Pädagogische Leiter der Heime, Dr. Udo Lück war überzeugt: „Das ambulante betreute Wohnen für Menschen mit geistiger Behinderung hat keine Zukunft.“ Doch es kam eine verlockende Anfrage von außen: Für seinen Bruder, damals 45 Jahre alt, suchte ein Angehöriger nach dem Tod des Vaters eine Unterstützung im Elternhaus. Die Wohnung in Mühltal/ Traisa sei groß genug, um zwei Mitbewohner aufzunehmen. Ulrike Lüttge, die kurze Zeit später die erste Teamleiterin des BW wurde, holte sich Rückendeckung vom damaligen Kaufmännischen Vorstand Walter Diehl, der ein Jahr später  Vorstandsvorsitzender wurde. Mit Diehls Unterstützung  gelang der Start, und ab 1992 hatte die NRD in Hans-Christoph Maurer auch einen Pädagogischen Vorstand, der die ambulante Arbeit entschieden vorantrieb. Die drei vom Landeswohlfahrtsverband längst bewilligten Plätze wurden wieder aktiviert, Thomas Hötzel zog mit einem weiteren Heimbewohner bei Herbert Kopf ein. Sechs Jahre später zog auch Elvira Hötzel, die bereits in einer stationären Außenwohnung dafür trainiert hatte, ins betreute Wohnen um und fuhr 1996 erstmals mit ihren späteren Ehemann Thomas für 14 Tage allein in den Urlaub nach Mallorca.

Erste Dienstbesprechung im Lokal

„Wir machen nichts für euch“, erklärte damals Ulrike Lüttge den Klienten, „wir helfen euch, alles selbst zu machen.“ Dies taten die Mitarbeiterinnen unter Arbeitsbedingungen, die heute unglaublich erscheinen. „Wir hatten kein Büro“, berichtet Ulrike Lüttge, „unsere Dienstbesprechungen fanden anfangs in der Kneipe statt. Die Akten der Klienten und Geld verwahrten wir privat zu Hause. Unsere erste Errungenschaft in Sachen Ausstattung war ein Schrank im Löhehaus, im Flur vor der Kegelbahn.“

Pragmatismus und Herzblut waren gefragt bei diesen Anfängen: „Wir haben einfach losgelegt und nach und nach die Sachen entwickelt, die wir brauchten“, berichtet Ulrike Lüttge. Gebraucht wurden zum Beispiel Betreuungs- und Mietverträge, Hilfepläne, Dienstpläne, Stellenbeschreibungen. Vieles davon floss in die „Handreichung zum Ambulant betreuten Wohnen“ ein, die 1999 vom Dachverband Bundesverband Evangelische Behindertenhilfe (BeB) herausgegeben wurde.

Was gleichfalls gebraucht wurde, waren Wohnungen. Weil es kaum Vermieter gab, die bereit waren, mit Klienten Mietverträge abzuschließen, fungierte die NRD als Mieterin, die dann mit den KlientInnen Untermietverträge schloss – eine Praxis, die bis heute oft angewandt wird. Allerdings gibt es inzwischen viele Vermieter, die bereit sind, an einen Menschen mit Behinderung direkt zu vermieten und sich freuen, wenn sie damit unsere Klienten damit unterstützen können.

Mitglieder der Interessenvertretung Betreutes Wohnen Mühltal. Sie sind insgesamt sehr zufrieden. Nur ein Angebote vermissen sie zurzeit: Dass ihre Betreuer sie im Urlaub begleiten. Von links: Thorsten Ondreka, Horst Enzmann, Petra Pietsch, Simone Bartonek, Christiane Fruh (stellvertretende Leiterin des BW Darmstadt-Dieburg), Inge Pietsch, Thomas und Elvira Hötzel.
Mitglieder der Interessenvertretung Betreutes Wohnen Mühltal. Sie sind insgesamt sehr zufrieden. Nur ein Angebote vermissen sie zurzeit: Dass ihre Betreuer sie im Urlaub begleiten. Von links: Thorsten Ondreka, Horst Enzmann, Petra Pietsch, Simone Bartonek, Christiane Fruh (stellvertretende Leiterin des BW Darmstadt-Dieburg), Inge Pietsch, Thomas und Elvira Hötzel.

Alle mussten umdenken

Zu den wichtigsten Lernzielen gehörte es anfangs, im eigenen Haushalt zurechtzukommen, selbstständig einzukaufen und das monatlich vom Sozialamt überwiesene Budget für den Lebensunterhalt selbst zu verwalten.  Auch für die Mitarbeitenden war das eine große Umstellung: „Wir mussten gleichfalls lernen, uns vom Denken der Rundumversorgung zu verabschieden“, erklärt Ulrike Lüttge, „das hieß auch, zu akzeptieren, dass jeder Klient seine eigene Vorstellung davon hatte, was ihm wichtig war.“ Was vielen schwer fiel, so erinnert Ulrike Lüttge, war, mit dem Alleinsein umgehen zu lernen und sich selbst zu organisieren. Bis heute hilft vielen KlientInnen im BW ein Wochen- und Monatsplan, in den die Routinetätigkeiten wie Wäschewaschen, Putzen und Müllentsorgung eingezeichnet sind. Ein Klient musste lernen, dass frisch gewaschene Wäsche nicht sofort gefaltet und nass in den Schrank gelegt wird.

Drei Jahre widmete sich Ulrike Lüttge dem Aufbau des BW mit ganzer Energie, bevor sie Ende 1994 sie die Hausleitung der Wohneinrichtung Pulvermühle übernahm. Die Arbeit des BW begleitete sie noch bis 1998 mit, dann wurden das Betreute Wohnen mit inzwischen 35 KlientInnen und der Familienunterstützende Dienst zum Bereich Ambulante Dienste zusammengeführt. Später wurden diese Bereiche jedoch wieder getrennt.

„Es war eine tolle Zeit“ sagt Ulrike Lüttge über die Anfänge. „Es herrschte totale Aufbruchsstimmung.“ Natürlich musste im stationären Wohnbereich intensiv für das betreute Wohnen geworben werden. „Viele MitarbeiterInnen waren skeptisch und wollten selbst sehr fitte KlientInnen nicht umziehen lassen“. Und auch die Klientinnen selbst brauchten Ermutigung. Thomas Hötzel, der beim Umzug ins BW bereits 30 Jahre Anstaltsleben hinter sich hatte, erinnert sich, dass er den Schritt nach draußen nur wagte, nachdem ihm fest zugesagt worden war, er könne auch zurück ins Heim ziehen, wenn es draußen nicht klappen sollte. Diese Besorgnis hat sich schnell verflüchtigt. Rundum glücklich ist Thomas Hötzel heute vor allem deshalb, weil er seit 2005 mit seiner Frau Elvira in trauter Zweisamkeit zusammenlebt. Auch sie, die schon im Kindesalter in die Heime kam, hat für immer genug vom Anstaltsleben in Wohngruppen. „Das ist Gift“, sagt Elvira Hötzel leidenschaftlich.

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  • Inklusion...

    ... heißt für mich, dass alle teilhaben. Es muss nicht immer alles perfekt sein, damit behinderte Menschen teilhaben können. Statt einer Super-Rampe tut es auch ein Stück Sperrholz. Und wenn das auch fehlt, kann man mich auch gerne mal über die Schulter werfen und irgendwo hinein tragen.

    Inklusion...
    Tobias Koch
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