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(Selbst-)Beobachtung mit MarteMeo

12.04.2017 | Philine Steeb

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Philine Steeb

Philine Steeb ist Online-Managerin der NRD

(Selbst-)Beobachtung mit MarteMeo

Ein Lächeln huscht über das rundliche Gesicht des kleinen Mädchens. Aufmerksam beobachtet sie das Gesicht der jungen Frau, die ihr gegenüber sitzt und sie anlacht. Dann wendet sie sich wieder ihrem Schüsselchen zu und stößt einen Laut aus. Die Frau wiederholt diesen Laut und lächelt dem Mädchen erneut zu.

An dieser Stelle stoppt Jennifer Rott das Video und erklärt: „Die junge Frau zeigt dem kleinen Mädchen ein Lächeln, in MarteMeo sagen wir dazu ‚ein freundliches Gesicht‘. Damit schafft sie Atmosphäre und das Kind weiß, es ist alles in Ordnung. Indem sie die Laute des Mädchen durch die Wiederholung bestätigt, zeigt sie dem Mädchen, dass sie gerade ganz bei ihr ist und dass sie sie wahrnimmt.“

Jennifer Rott hat einen geschulten Blick für Interaktionen zwischen Betreuern und Klienten. Schon länger analysiert sie Videosequenzen nach der sogenannten MarteMeo-Methode. Dabei werden mit einer Filmkamera alltägliche Situationen eingefangen, bei der Menschen in Kontakt zueinander treten. Schon während einer kurzen Videosequenz kann Jennifer Rott mehrere Situationen benennen, Muster erkennen und beschreiben. Die Analysen helfen der Erzieherin sehr bei ihrer Arbeit für den Familienunterstützenden Dienst der NRD in Bensheim. Als Teamleiterin betreut sie mit ihren Kollegen beeinträchtige Kinder.

Jennifer Rott arbeitet bereits seit fünf Jahren mit dem Konzept MarteMeo, das übersetzt „aus eigener Kraft“ bedeutet. Sie erzählt von einem Schlüsselerlebnis, dass sie während ihrer Tätigkeit als Erzieherin in einem Integrationskindergarten hatte: Es gelang ihr nicht, zu dem autistischen Jungen, den sie damals betreute, in Kontakt zu kommen. Eine Kollegin, die bereits mit MarteMeo vertraut war, beobachtete immer wieder die Situationen zwischen ihr und dem Kind. Sie gab Jennifer Rott schließlich einen entscheidenden Impuls: Anstatt mit dem Kind zu sprechen, sollte sie es mit Tönen versuchen, da Kinder Töne bereits vor dem Spracherwerb lernen. Als der kleine Junge auf der Schaukel saß, rief sie „hui“ und zum ersten Mal reagierte der Junge auf Jennifer Rott und blickte ihr direkt ins Gesicht. Ab diesem Zeitpunkt konnte sie ihre Beziehung zu dem Kind weiter vertiefen.

Die Basis für MarteMeo ist die Analyse von Videosequenzen, die alltäglichen Situationen zeigen. Sie ermöglicht es, das Gesehene zu reflektieren und die eigene Perspektive zu wechseln. Es macht einen großen Unterschied, ob man sich selbst in der Situation befindet oder sich nachher auf dem Video sieht. Dieser neue Blickwinkel lässt eine Außenperspektive auf das eigene Handeln zu. Jennifer Rott analysiert ganz genau die Interaktionen zwischen den gefilmten Personen. Für viele Eltern, Kollegen aber durchaus auch Klienten ist es sehr aufschlussreich, wenn sie ihnen anhand der Videoaufnahmen erklärt, warum jemand beispielsweise aggressiv oder abweisend reagiert. Dabei setzt sie den Fokus auf Szenen, in denen man das Entwicklungspotenzial des Klienten sehen kann, um aufzuzeigen, was genau der Klient benötigt, um mit den Auslösern von solchem Verhalten besser umgehen zu können und neue Verhaltensmuster zu entwickeln. Mit solchen Ausschnitten kann Jennifer Rott also zeigen, was bereits gelingt, wo und wie weitere – positive – Entwicklung möglich ist.

MarteMeo wurde der römischen Mythologie entliehen und bedeutet sinngemäß „etwas aus eigener Kraft“ erreichen. Entwickelt wurde die Methode von der Holländerin Maria Aarts. In der NRD wird MarteMeo seit vielen Jahren in verschiedenen Bereichen angewandt

Sich auf das Positive zu konzentrieren ist ein zentraler Pfeiler von MarteMeo. Außerdem ist bei dem Konzept wichtig, individuell zu berücksichtigen, welche Szenen man den beteiligten Personen zeigt. „Man muss jeden Menschen dort abholen, wo er steht.“ Deshalb wählt Jennifer Rott Sequenzen aus, die zu den jeweiligen Fähigkeiten der Kollegen, Eltern oder Klienten passen. „Einer Mutter mit sozialpädagogischem Hintergrund würde ich beispielsweise eine andere Sequenz zeigen als einer Mutter, die einen solchen Hintergrund nicht besitzt. Einem Menschen mit Behinderung würde ich beispielsweise vielleicht auch erstmal nur ein Standbild zeigen, auch daraus lässt sich viel ablesen.“ Marte Meo ist also immer maßgeschneidert.

Bei MarteMeo wird zwischen verschiedenen Ausbildungsstufen unterschieden: Practitioner, Therapist, Colleague-Trainer und Supervisor. Der Practitioner (zu deutsch Praktiker) kann mit Klienten nach der MarteMeo-Methode arbeiten und hat Kenntnisse über die Basiselemente. Der Therapist ist nicht zu verwechseln mit dem deutschen „Therapeuten“. Unter Therapist versteht man vielmehr, dass neben der direkten Arbeit mit Klienten auch beispielsweise deren Eltern unterstützt werden, um bei konkreten Anliegen Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt zu bekommen. Der Colleague-Trainer befasst sich mit der Ausbildung weiterer Kollegen im eigenen Arbeitsfeld und vermittelt die Basiselemente der Methode. Der Supervisor umfasst zusätzlich die Möglichkeit, auch andere Menschen in MarteMeo auszubilden.

Jennifer Rott hat dank MarteMeo schon vielen ihrer Kollegen bei auftretenden Problemen helfen können. Mittlerweile nutzen sie die Methode auch, um die Arbeit im eigenen Team zu analysieren, denn die Arbeit mit Kindern ist nicht das einzige Einsatzfeld des Konzepts: „Grundsätzlich ist es in allen Lebensbereichen, in denen Interaktion stattfindet, anwendbar“, betont Rott, „egal, ob bei Kindern oder Erwachsenen, Menschen mit und ohne Behinderung oder Demenz, in Beziehungen von Paaren, Geschwistern, Freunden oder Kollegen.“

Foto: Vivian Alten

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