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Die Arbeit den Menschen anpassen

24.06.2016 | Marlene Broeckers

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Marlene Broeckers

Texterin der NRD

Die Arbeit den Menschen anpassen

Mit der Übernahme der Behindertenhilfe Dieburg im Oktober 2014 hat die Stiftung Nieder-Ramstädter Diakonie ein neues Arbeitsfeld hinzugewonnen: Arbeitsangebote zur Rehabilitation von Menschen mit seelischer Behinderung. Diesen Bereich auf angemessene Beine zu stellen, war das Bestreben, denn viele Arbeitsplätze waren in Ermangelung passender Räumlichkeiten in den Dieburger Werkstätten untergebracht. Ende 2015 konnte die Reha-Werkstatt neue Räume an der Darmstädter Straße in Münster beziehen, jetzt wurde der Arbeitsbereich mit derzeit insgesamt 50 Beschäftigungsplätzen offiziell vorgestellt.

Fast alle Beschäftigten – auch jene, die in Außenarbeitsgruppen in Dieburg und Groß-Bieberau tätig sind – und Mitarbeitende konnte Andreas Koch, Leiter des Bereichs Arbeit in der NRD, am 24. Juni in der Werkstatt an der Darmstädter Straße 82 in Münster begrüßen.

Auch der NRD-Vorstand und Münsters Bürgermeister Gerald Frank und ein Vertreter der Kommission für Wirtschaftsförderung sowie viele Gäste aus dem Bereich der Rehabilitation waren anwesend, um sich einen Überblick über das Arbeitsangebot in der 700 Quadratmeter großen Werkstatt im Gebäude der Firma CBL-Richtfunktechnik zu verschaffen.

Andraes Koch berichtete, dass ein Mitarbeiter der Dieburger Werkstätten den Anschlag „Räume zu vermieten“ bei einem Schwimmbad-Besuch in Münster zufällig entdeckt hat. Dem aufmerksamen Kollegen sei Dank – so wurden die passenden Räumlichkeiten gefunden, um in zwei Arbeitsbereichen mit ausreichend Platz und Licht sowohl Montage- und Verpackungsarbeiten als auch Bürotätigkeiten anbieten zu können.

Bevor die zahlreichen Gäste bei einem Rundgang die Arbeitsräume besichtigen und sich mit Snacks und Getränken erfrischen konnten, sprach NRD-Vorständin Brigitte Walz-Kelbel zu den Gästen. In ihrer Rede ging sie der Frage nach, was Arbeit für Menschen mit seelischer Beeinträchtigung bedeutet.


NRD-Vorständin Brigitte Walz-Kelbel
NRD-Vorständin Brigitte Walz-Kelbel

Hier ihre Rede im Wortlaut:

Die heutige, digitale, hoch komplexe, flexibilisierte und globalisierte Arbeitswelt stellt hohe Anforderungen an unsere Fähigkeiten und Leistungsbereitschaft. Zunehmende Alterung der Gesellschaft, mehr Menschen mit Schwerbehinderung, eine Zunahme an psychischen Erkrankungen und soziale Hemmnisse begleiten diese Entwicklung und stellen damit den Einzelnen, die gesamte Wirtschaft und Unternehmen vor neue Herausforderungen.

Angepasste Systeme und Konzepte, aber auch die Arbeitsmarktpolitik versuchen Lösungen vorzuschlagen. Doch genügt das für die Zukunft? Wie gelingt es, dass jede/r Einzelne sinnerfüllt zum Arbeitsergebnis beitragen kann und will?

Was braucht es, damit Menschen in Arbeit sich ausreichend gefordert und doch nicht überfordert fühlen? Wovon hängt es ab, ob Menschen sich als leistungsfähig erleben können? Wann macht Arbeit für Einzelne Sinn? Sind vorhandene Strukturen ausreichend?

Es braucht Menschlichkeit, Vorbilder und soziale Verantwortung in Unternehmen. Denn: Arbeit ist mehr als Broterwerb für den Arbeitnehmer und Produktionsfaktor für den Unternehmer. Arbeit ist weit mehr für Menschen, die arbeiten, und für die Gesellschaft. Auch in unserer Marktgesellschaft und in Wirtschaftsunternehmen sind viele Formen von Arbeit nötig, nicht nur die, die maximalen Lohn und Profit bringen.

Der französische Philosoph Charles de Montesquieu (1689-1755) hat gesagt: „Keine Arbeit ist so beschwerlich, dass man sie nicht der Kraft dessen, der sie verrichtet, anpassen könnte. Vorausgesetzt, dass die Vernunft und nicht die Habsucht sie regelt."

Unsere Aufgabe und Kompetenz als Träger von Werkstätten ist: die Arbeit an die Menschen anzupassen, nicht die Menschen an die Arbeit. Soziale Kontakte, ein geregelter Tagesablauf, persönliche Anerkennung - für uns alle bedeutet Arbeit, selbstbestimmt zu leben und Teil der Gesellschaft zu sein.

Wir sind hier aktiv an der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (Art. 27} beteiligt: in der „das Recht auf die Möglichkeit betont wird, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für behinderte Menschen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wurde."

Das flächendeckende Netz der Werkstätten ist vor ca. 5O Jahren entstanden, eine der großen und wichtigen sozialpolitischen Errungenschaften der Nachkriegszeit in unserem Land. Derzeit finden hier rund 300.000 Menschen Arbeit und Beschäftigung, die die vom allgemeinen Arbeitsmarkt kein Angebot bekommen.

Welches Umfeld und welche Unterstützung braucht ein Mensch mit psychischer Beeinträchtigung? Menschen mit psychischen Erkrankungen tauchen im Kontext Behindertenhilfe oft gar nicht auf. Die Krankheitsbilder und Unterstützungsbedarfe sind vielfältig und es fällt häufig schwer, Gemeinsamkeiten zu finden.

Hinzu kommen die verschieden verlaufenden Phasen vieler psychischer Krankheiten. In vielen Fällen ist für Außenstehende gar nicht so leicht ersichtlich, ob sich derjenige gerade in einer akuten Phase befindet, und aus welchem Grund jemand gerade so handelt. Die Übergänge sind hier, anders als bei anderen Beeinträchtigungen, eher fließend. Gerade das macht die Herausforderung aus, Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen.

Seelische Beeinträchtigung
ist unsichtbar wie die Seele

Ein Rollstuhlfahrer ist als Mensch mit Beeinträchtigung sofort und einfach zu er-kennen. Barrieren im öffentlichen Raum werden für ihn abgebaut. Die Diskussi-on um inklusive Beschulung ist in vollem Gang und Eltern sollen zumindest die Chance haben, für ihre Kinder den Schultyp zu wählen, den sie für den geeignetsten halten. Den Gehörlosen erkennen wir an der Gebärdensprache, den Blinden am weißen Stock. Aber Menschen mit seelischen Behinderungen sind auf den ersten Blick als Betroffene nicht zu erkennen. So unsichtbar wie die Seele, so unsichtbar ist oft die Beeinträchtigung.

Wer aufgrund psychischer Erkrankung im Arbeitsleben eingeschränkt ist, ist da-rauf angewiesen, dass es ein verständnisvolles Gegenüber gibt. Hier wird ein wichtiger Unterschied zu anderen Barrieren deutlich: es gibt besondere Anforderungen an das Gegenüber! Was für Gehörlose die Gebärdensprache ist, ist für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung ein zugewandtes, wissendes

Gegenüber. Das Umfeld, sei es im privaten oder im Arbeitsumfeld, muss immer wieder den individuellen Bedarf erkennen und nach passenden Lösungen suchen.

Welchen Barrieren begegnen Menschen mit psych. Beeinträchtigungen in der Gesellschaft und welche Formen der Selbstbestimmung und Teilhabe wünschen sie sich? Diese ethischen Fragen, mit denen wir uns auseinander-setzen, haben ganz viel mit der praktischen Schaffung von Arbeitsplätzen zu tun. Wir brauchen hier passgenaue und oft auch einzigartige Lösungen.

Arbeiten heißt Mit-Leben, Mit-Erleben vor Ort, Teilhabe und Teilgabe, die Einbindung in das soziale Umfeld. Wir wollen Sonderwelten vermeiden und stattdessen individuelle Angebote anbieten. Dies gelingt nur, wenn Menschen mit psych. Beeinträchtigungen, Träger von Einrichtungen und Diensten, Vereine, Verbände, Kommunen und weitere lokale Akteure zusammenarbeiten und gemeinsam einen inklusiven Sozialraum für alle Menschen gestalten. Wie bei der Stiftung NRD sind Werkstätten grundsätzlich eine spezielle Betriebsform von Einrichtungen und Diensten, sie sind fast immer Teil eines Vereins, einer Stiftung oder GmbH.

In der Stiftung NRD ist die Reha-Werkstatt im Bereich Arbeit ein wichtiges Glied in einer logisch aufgebauten Kette von Angeboten für Menschen mit Beeinträchtigungen: Angefangen bei Schule und Berufsorientierung, Arbeit und Beschäftigung, Tagesstätte, Werkstatt, Außenarbeitsplätzen, betriebsintegrierten Arbeitsplätze und Integrationsunternehmen.

Der Schwerpunkt der NRD liegt bei den Angeboten für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Umso mehr freuen wir uns, dass wir jetzt und zukünftig mit den Dieburger Werkstätten auch Unterstützung für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung geben können.

Bereichsleiter Andreas Koch im Gespräch mit Klientinnen
Bereichsleiter Andreas Koch im Gespräch mit Klientinnen

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  • Inklusion...

    ... heißt für mich, dass alle teilhaben. Es muss nicht immer alles perfekt sein, damit behinderte Menschen teilhaben können. Statt einer Super-Rampe tut es auch ein Stück Sperrholz. Und wenn das auch fehlt, kann man mich auch gerne mal über die Schulter werfen und irgendwo hinein tragen.

    Inklusion...
    Tobias Koch
Stiftung Nieder-Ramstädter Diakonie

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