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Jeder Mensch muss eine sinnvolle Tätigkeit ausüben dürfen

11.06.2015 | Andreas Nink

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Andreas Nink

Leiter der Abteilung Kommunikation und Fundraising der NRD

Jeder Mensch muss eine sinnvolle Tätigkeit ausüben dürfen

Drei Jahre lang wurde in der NRD an neuen Arbeits-und Bildungsangeboten für die Besucher der Tages(förder)stätten gefeilt. Zwei Teamleiterinnen der Tagesstätte Mühltal bewerten zum Abschluss des Projekts „Arbeit und Bildung“ den Erfolg.

Die Arbeit am Thema wird fortgesetzt, auch künftig muss der Anspruch, jedem Menschen eine für ihn optimale Beschäftigung zu ermöglichen, immer wieder neu umgesetzt werden.

Gerhard N. sitzt im Rollstuhl. Er hat eine Tetraspastik, d.h. seine Bewegungsmotorik ist stark eingeschränkt, so dass er für die Bewältigung des Alltags Unterstützung benötigt. Genauso wie Manfred K., der zwar körperlich wenig Einschränkungen hat, es aber emotional nicht aushält, am Tisch zu sitzen und eng mit anderen zusammen zu arbeiten. Beide besuchen die Tagesstätte der NRD in Mühltal.

Tagesstätten (in Rheinland-Pfalz und in Dieburg heißen sie Tagesförderstätten) machen Beschäftigungs- und Betreuungsangebote für Menschen, „die die Voraussetzungen für eine Beschäftigung in einer Werkstatt nicht erfüllen“, wie der Gesetzgeber  im Sozialgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland, Band 9, formuliert (§ 136, Abs. 3). 

In der Vergangenheit fand dort eine Tagesgestaltung statt, die vielleicht am ehesten mit der Tagespflege in der Altenhilfe vergleichbar ist: es galt, dem Tag Struktur zu geben und die Senioren durch Mobilisierung, Musik und Kreativität anzuregen.  Dass dies nicht so selbstverständlich ist, wie es sich liest, zeigt der Blick in die Vergangenheit der „Nieder-Ramstädter Heime“, über die das Buch „Aussortiert. Leben außerhalb der Gesellschaft“ Auskunft gibt.

Aber Gerhard N. und Manfred K. sind keine Senioren, sondern Männer in der Mitte ihres Lebens. Wie die meisten Menschen haben auch sie den Wunsch, ihren Tag mit einer sinnvollen Tätigkeit auszufüllen. 

Den beiden geht es wie vielen anderen Besuchern der sieben Tagesstätten der NRD von Dieburg bis Wallertheim. Sie möchten arbeiten.

In den vergangenen Jahren wurden die Rechte von Menschen mit Behinderung international und national gestärkt. Jeder Mensch hat das Recht  auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Menschen mit körperlichen, geistigen oder psychischen Einschränkungen haben den Anspruch darauf, unterstützt zu werden, um ein Leben so normal wie möglich zu leben. Die Durchführung der Unterstützungsmaßnahmen delegiert der Staat an Einrichtungen wie die Nieder-Ramstädter Diakonie.

Vor drei Jahren startete die NRD das Projekt „Arbeit und Bildung“ in allen Tagesstätten. Es hat das Ziel, Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung Bildungsmöglichkeiten und Arbeitsplätze anzubieten. 

Die Besucher der Tagesstätten kommen in festen Gruppen zusammen, das schafft Vertrauen und Sicherheit. Das Projekt „Arbeit und Bildung“ startete mit den bestehenden Gruppen, mit Projekten, die den Fähigkeiten und Interessen der Menschen am ehesten entsprachen. Die Gruppenzusammensetzung jedoch hatte den Nachteil, dass nicht jeder das für ihn optimale Projekt gefunden hat, berichtet Susanne Nold, Teamleiterin in Team 4 der Mühltaler Tagesstätte.

Wie kann man sich die Projektarbeit in den Tagesstätten vorstellen? 

Die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit der Teilnehmer ist sehr unterschiedlich. Viele können sich nicht über Sprache mitteilen. Die Kommunikation findet mit Hilfe der Symbolik der Unterstützten Kommunikation statt. Aber auch sie hat Grenzen. Manche Teilnehmer reagieren auf Gegenstände, sie wissen beispielsweise, wenn sie einen Kittel anziehen, dann wird Seife hergestellt; der Kochlöffel bedeutet, jetzt wird gemeinsam gekocht.

Andere leben sehr in ihrer eigenen Welt, in der Kommunikation mit ihnen sind die Betreuer in großem Maße auf ihr Einfühlungsvermögen angewiesen, um ihre Lebensäußerungen zu verstehen. Durch Beobachten und Interpretieren finden sie mit der Zeit die Vorlieben der Beschäftigten heraus, sagt Kerstin Wendt, Teamleiterin in Team 8 in Mühltal. Es ist ein langwieriges Herantasten nach der Versuch-und-Irrtum-Methode, bei der die Betreuten auf die Sensibiltät ihrer Betreuer angewiesen sind. Man kann sich vorstellen, wie schwierig es ist, die gewonnenen Erfahrungen an andere Teammitarbeiter weiterzugeben.

Die Arbeit in der Tagesstätte steht und fällt mit der Qualität der Betreuung. Das meiste funktioniert nur in einer Eins-zu-Eins-Betreuung, stellt Susanne Nold fest. Kaum jemand arbeitet selbstständig, stets ist die Handführung oder die verbale Anleitung notwendig, ergänzt Kerstin Wendt. So auch bei Gerhard N., der gern mitarbeitet und sich über schöne Ergebnisse freut. In den Gruppen kommen jeweils sechs bis sieben Menschen zusammen, die in der Regel von zwei Mitarbeitern betreut werden. Auf einen Betreuer kommen somit mindestens drei Betreute. Als Vergleich: In der Werkstatt beträgt der Betreuungsschlüssel Eins zu Sechs.

Susanne Nold und Kerstin Wendt sind sich einig, dass manche Tagesstättenbeschäftigte einer Werkstatt arbeiten könnten, wenn auch dort eine intensivere Betreuung möglich wäre. Diese Menschen sind „Grenzgänger“, sagt Kerstin Wendt, mit ausreichenden kognitiven Fähigkeiten, aber einer eingeschränkten sozialen Kompetenz.

Bildung im Projekt „Arbeit und Bildung“ versteht sich nicht theoretisch und abstrakt, sondern sehr konkret und gegenständlich in Gestalt von Arbeitsprozessen. Arbeiten werden in möglichst kleine Einzelschritte aufgeteilt, erklärt Susanne Nold, auf die sich der einzelne konzentrieren kann. Ein Lernerfolg kommt durch stetige Wiederholung zustande. Diese Lernerfolge sind der entscheidende Motivationsfaktor, sagt Susanne Nold. Sie ergänzt, dass man den Menschen aber auch etwas zutrauen muss, dann nehmen sie sich selbst als Teil eines Arbeitsprozesses wahr.

Die anfänglich bunte Vielfalt der Angebote ist geringer geworden, stellen beide Teamleiterinnen fest. Wurde zu Beginn noch stärker experimentiert, so hat heute jede Gruppe ihre festen Angebote. Einige stellen Produkte her, wie zum Beispiel Tiernahrung, andere bedrucken Taschen. Wieder andere erledigen Dienstleistungen, zum Beispiel das Projekt Süßschnabel, das Kuchen für das Café in Haus Abendfrieden in Mühltal backt. Musik und Kreativität, Sport, Snoezelen und andere Entspannungsangebote spielen auch weiterhin eine wichtige Rolle.

Manche Menschen benötigen Ruhe und Stetigkeit, andere haben einen großen Bewegungsdrang, so wie Manfred K.  Er ist gerne unterwegs, deshalb übernimmt er Botengänge, so holt er u.a. täglich  mittags den Essenswagen in die Gruppe und bringt ihn auch wieder zurück.

Die Tagesstätten betreuen Menschen mit sehr starken Einschränkungen. Die Arbeits- und Bildungseinheiten nehmen tatsächlich nur einen kleinen Teil des gesamten Tagesablaufs ein.  Viel Zeit wird für individuelle Betreuung aufgewendet, was durch die eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit verkompliziert wird.  Kerstin Wendt erklärt, dass die Teams darauf achten, bei allen Gruppenmitgliedern eine Grundzufriedenheit herzustellen. Indem ihre Grundbedürfnisse befriedigt werden, können auch stark eingeschränkte Menschen einen Zustand der „beruhigten Wachheit“ – wie sie der Psychologe Werner Haisch formuliert hat – erreichen, der Voraussetzung dafür ist, aufmerksam für etwas darüber hinaus werden zu können.

Deutlich anders gestaltet sich der Alltag in den beiden sogenannten Intensivteams der Mühltaler Tagesstätte. Hier arbeiten kognitiv leistungsstarke Menschen, wie die „jungen Wilden“ genannten Mitarbeiter der Digitalisierungsgruppe von Team 5, die mit ihrer Computertechnik bestens vertraut sind.

Susanne Nold und Kerstin Wendt bedauern beide, dass der Austausch zwischen den verschiedenen Bereichen der NRD oft zu kurz kommt. Dadurch bekommt man von der Arbeit und auch von den Erfahrungen im Umgang mit den betreuten Menschen wenig gegenseitig mit.  Beide Teamleiterinnen wünschen sich, dass die Möglichkeiten zur Hospitation in der Tagesstätte stärker wahrgenommen werden.

Das Projekt „Arbeit und Bildung“ fand Ende letzten Jahres in einer großen Veranstaltung seinen Abschluss.   Die Arbeit selbst geht weiter und entwickelt sich weiter. Der Anspruch, jedem betreuten Menschen eine für ihn optimale Beschäftigung zu ermöglichen, muss jeden Tag neu verwirklicht werden. Mit dem Projekt haben wir für unsere Beschäftigten viel erreicht, sagt Kerstin Wendt. Das Wichtigste jedoch ist und bleibt, schließt sie ab, jeden Menschen genau so, wie er ist, zu akzeptieren und zu respektieren.

Susanne Nold und Kerstin Wendt 
Susanne Nold und Kerstin Wendt

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