10.02.2020 | Hanna Bergmann
„Wohnst du noch oder lebst du schon?“ – dieses bekannte Motto eines großen schwedischen Möbelhauses würde, etwas überspitzt gesagt, auch zu den Forderungen passen, die die UN-Behindertenrechtskonvention (UN BRK) vor zehn Jahren für Menschen mit Beeinträchtigung formuliert hat. Aktuell ist die Eingliederungshilfe mit der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) beschäftigt, das den Anforderungen aus der UN-BRK eine rechtliche Ausgestaltung gibt. Ein wichtiger Bestandteil: Künftig wird es die bisherige Einteilung von Betreutem und Stationärem Wohnen nicht mehr geben.
In der NRD werden
bereits unterschiedliche Wohnformen angeboten und umgesetzt. Um sich einen
Überblick über die bereits bestehenden Möglichkeiten zu verschaffen, sich zu
vernetzen und gemeinsam in die Zukunft zu blicken, wurde Mitte September ein
interner Fachtag veranstaltet. Unter dem Titel „Ambulante Betreuung Erwachsener“
hatte das NRD-„Fachteam Individuelle Unterstützung“ alle Teamleitungen des
Ambulanten/ Betreuten Wohnens zusammengebracht und auch Dirk Tritzschak und
Petra Grunewald, beide Stabsstelle Strategische Entwicklung, dazu eingeladen,
den Tag mitzugestalten.
Die große Runde von rund 20 Teilnehmer*innen kam im
Haus Arche zusammen und stellte unter anderem schlaglichtartig ihre Erfahrungen
mit der Umstellung von stationären zu ambulanten Wohnplätzen sowie ganz neue
Wohnformen vor. In allen Fällen galt es dabei zunächst einige Hürden zu
meistern. Stefanie Schönherr vom Betreuten Wohnen in Darmstadt-Dieburg
beschreibt: „Wir haben festgestellt, dass es in dem Veränderungsprozess oft
noch Schwierigkeiten mit den Kostenzusagen gibt. Bei einigen Klient*innen
fehlen beispielsweise immer noch Gelder aus der Grundsicherung.“
Kunden wählen
gewünschte Leistungen
In einem Vortrag ging auch Dirk Tritzschak auf den
Veränderungsprozess ein und zeigte, dass sich auch die Begrifflichkeiten ändern
und inzwischen diverse kursieren. „Ambulantes Wohnen“, „Betreutes Wohnen“, „Besondere
Wohnformen“ oder „Gemeinschaftliche Wohnformen“ sind dabei einige Beispiele. Im
Sinne der UN-BRK bedeutet das aber letztlich schlicht: „Ich wohne, arbeite, lebe
in der Gesellschaft und nehme, wenn nötig, Unterstützung in Anspruch“, so
Tritzschak. Er wünsche sich eine Zukunft, in der Menschen nicht mehr
entsprechend den Angeboten eines Trägers sortiert werden.
Vielmehr müsse sich
die Unterstützungsleistung der NRD nach den Kunden, ihren Zielen und ihrer
Motivation richten. Seine Vision: Kund*innen sollen aus einem umfassenden
Leistungskatalog wählen und ihre verschiedenen Bedarfe bei unterschiedlichen Anbietern
buchen oder sich für ihr zur Verfügung stehendes Stundenkontingent ein
passendes Angebot beim Dienstleister einholen können. Noch sei das nicht die
gelebte Praxis, aber: „Es wäre schön, wenn wir als NRD das als erste anbieten
könnten. Uns fehlen zwar noch Antworten auf einige Fragen, aber wir sind auf
einem guten Weg.“
Der Weg dahin ist auch Bestandteil des Projektes „Unterstützende
Dienste“, das Petra Grunewald leitet und im Rahmen des Fachtages vorstellte.
Ziel des Projektes, das für vier Jahre von der Aktion Mensch gefördert wird,
besteht darin, genau das umzusetzen: Passgenaue und personenzentrierte
Unterstützungsangebote zur gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft.
„Menschen mit Beeinträchtigung sollen aus einer Palette an Leistungen wählen
können – von der Hilfe im Haushalt über die Gestaltung des Alltags bis hin zur
Urlaubsplanung im inklusiven Reisebüro“, blickt Grunewald in die Zukunft.
Planspiel mit Praxisbezug
Was das alles für
die Arbeit der Mitarbeiter*innen in der NRD und die Angebotsentwicklung
bedeutet, konnten die Teilnehmer*innen des Fachtages in einem Planspiel
erfahren. Christiane Fruh, Fachberatung
für Betreutes Wohnen Landkreis Darmstadt-Dieburg, stellte dazu eine Anfrage
vor, die sie vor kurzem erhalten hat:
Ein Ehepaar aus Nordhessen hat eine
37-jährige Tochter mit Beeinträchtigung, die derzeit in einer eigenen Wohnung
in der Nähe der Eltern wohnt. Unterstützung im Alltag erhält die Tochter durch
vier bis fünf Mini-Jobber*innen, deren Arbeit von einer pädagogischen Fachkraft
sowie den Eltern koordiniert wird. Für die Eltern ist dieser Job nicht zuletzt
aufgrund der hohen Mitarbeiterfluktuation zunehmend belastend. Sie möchten sich
daher in diesen Fragen zurückziehen und wünschen sich für ihre Tochter eine
neue Wohnmöglichkeit im Kreis Darmstadt- Dieburg, in der Nähe ihres Reitvereins
und anderer Freizeitaktivitäten, die sie dort bereits wahrnimmt.
In kleinen
Gruppen galt es für die NRD-Expert*innen nun, die Köpfe zusammenzustecken und
gemeinsam zu beratschlagen, welches Angebot sie für die Familie entwickeln
könnten. Zusätzlich erhielt jede Gruppe noch ein Blatt mit weiteren Infos zum
individuellen Unterstützungsbedarf der 37-Jährigen. Die Gruppe von Frank
Gruber, Mirko Neugebauer, Stefanie Schönherr und Marion Gengenbach stieß bei
der Planung zunächst auf eine der größten Herausforderungen: eine passende
Wohnung im angegebenen Umkreis zu finden, die idealerweise barrierefrei ist und
dennoch bezahlbar. „Das ist auf dem aktuellen Wohnungsmarkt mehr als nur eine
Herausforderung“, stellte Frank Gruber fest.
Die Gruppe plante weiter und griff
dabei auf ihre bereits vorhandenen Erfahrungen zurück. Gruber beispielsweise
beschrieb, wie ideal eine Wohnung in der Nähe eines bereits bestehenden Wohnhauses
der NRD sein könnte. Der Vorteil, man hat einen größeren Pool an
Mitarbeiter*innen an einem Ort, die sich gegenseitig aushelfen können. So wird
es im rheinhessischen Wallertheim beispielsweise erfolgreich umgesetzt.
Fortsetzung des fachlichen
Austauschs
Eine
Stunde Brainstorming später kamen die Kleingruppen wieder zusammen, tauschten
sich über die Knackpunkte der Anfrage aus und rissen mögliche praktische
Umsetzungen an. Wie wäre es, wenn die NRD einen eigenen Pflegedienst hätte? Wie
können sich Mitarbeiter gut vertreten? Wie kann die NRD geeigneten Wohnraum
finden? Und inwieweit können bauliche Maßnahmen an bestehenden Wohnstandorten
im bestehenden Veränderungsprozess helfen?
Über den Nutzen des Tages waren sich
in der Schlussrunde alle einig. So hob auch Dirk Tritzschak hervor: „Ich bin
stolz auf diesen Austausch, der heute hier stattgefunden hat. Sie können viel und
bringen die strategische Arbeit der NRD heute schon in die Umsetzung“.
Fotos Hanna Ashour, Burkhard
Rosskothen
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