Leben im Sozialraum

Regionalisierung und das Zusammenspiel von Verwaltung und Wohnbereichen

09.09.2016 | Andreas Nink

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Andreas Nink

Leiter der Abteilung Kommunikation und Fundraising der NRD

Regionalisierung und das Zusammenspiel von Verwaltung und Wohnbereichen

Der Prozess der Regionalisierung verändert die gesamte NRD. Zwar hat er zum Ziel, zeitgemäße Wohnangebote in den Gemeinden zu schaffen. Aber die Auswirkungen auf die Institution und die Zusammenarbeit in ihr sind gewaltig. Das ist jüngst bei zwei Besuchen aus der Verwaltung in neuen regionalen Wohneinrichtungen deutlich geworden. Ein Film dokumentiert die Begegnungen.

Vor nicht allzu langer Zeit war die NRD noch eine klassische Großeinrichtung in Nieder-Ramstadt. Menschen mit Behinderung aus dem Großraum Südhessen lebten in einer abgeschiedenen Sonderwelt. In solch einem Heim sind sämtliche Lebensbereiche durchorganisiert. Es bleibt wenig Raum für Privatsphäre und Eigeninitiative. Wer möchte so leben? Wer möchte, dass seine unterstützungsbedürftigen Angehörigen so leben?

Seit mehr als einem Jahrzehnt baut die NRD die Wohnplätze auf dem Kerngelände in Mühltal ab. Neue Häuser werden in der Region errichtet, dort, wo die Menschen ursprünglich herstammen. Anfangs noch in Heimgröße, mit 48 Plätzen, beträgt der NRD-Standard heute 16 Bewohner je Einrichtung. Aufgeteilt in kleinere Einheiten von ein bis drei Personen. Die Häuser liegen verkehrsgünstig und zentral, sie sind von außen nicht als Behinderteneinrichtungen zu erkennen. Und trotzdem handelt es sich um Häuser des stationären Wohnens für Menschen mit Behinderung.

Dorthin zogen und ziehen Menschen, die zuvor in Mühltal lebten, und Menschen, die zuvor bei ihren Herkunftsfamilien oder bei anderen Trägern lebten. Die Umzüge finden nicht unvorbereitet statt. Im Gegenteil. Betreuer und Bewohner sind in die Planung neuer Wohneinrichtungen einbezogen. Denn die NRD plant und baut selbst. Die individuellen Bedarfe und Wünsche jedes und jeder einzelnen sind im Blick. Der Umzug selbst stellt jedes Mal eine große Herausforderung für das Team dar, denn wer lange im Heim in Nieder-Ramstadt gelebt hat und aufgrund seiner Biographie sensibel auf Veränderungen reagiert, für den ist ein solcher Umzug ein gewaltiger Einschnitt im Leben.

Meist sind aber sehr schnell Erfolge zu vermelden, dass die Bewohner ankommen und aktiv werden, dass sie kochen, Wäsche waschen, den Müll entsorgen – kurz, die neue Wohnung als ihre eigene annehmen.

Auch das Unternehmen NRD verändert sich im Prozess der Regionalisierung. Die Mitarbeitenden, die früher alle auf einem Gelände gearbeitet haben, sind jetzt räumlich voneinander getrennt. Absprachen, die vorher im direkten Gespräch stattfanden, benötigen jetzt das Telefon oder die E-Mail. Neue Kollegen kommen hinzu, andere gehen weg. Mit der Zeit kennen sich die Mitarbeiter immer weniger persönlich. Die Zusammenarbeit aus der Entfernung wird formalisierter, die Position des Gegenübers fremd und abstrakt. Das Verständnis füreinander und für die jeweiligen Aufgaben im gemeinsamen Unternehmen droht dahinzuschwinden.

Vor kurzem besuchten zwei Gruppen aus der NRD-Verwaltung in Mühltal zwei neue Wohneinrichtungen. Eine fuhr nach Lampertheim, an den südlichsten NRD-Standort kurz vor Mannheim. Eine nach Friedrichsdorf, zum nördlichsten Standort, im Hochtaunus gelegen. Sie trafen dort auf die Kolleginnen und Kollegen aus der Betreuung und auf die Bewohner. Sie alle kannten den Standort aus ihrer jeweiligen Arbeit im Rechnungswesen, im Controlling oder im Personalmanagement. Aber niemand war zuvor persönlich vor Ort gewesen. Ein Filmteam hat beide Gruppen begleitet und den Besuch dokumentiert.

Beide Gruppen waren begeistert über die Architektur und die räumlichen Bedingungen der neuen Wohneinrichtungen. Lampertheim wurde im September 2014 bezogen, der Neubau in der Friedrichsdorfer Bahnhofstraße erst im Juni 2016. Die Häuser sind hell und freundlich, bieten Einzelzimmer, maximal zwei Bewohner teilen sich ein Bad. In Lampertheim besteht die Einrichtung aus drei Wohnhäusern, verbunden durch zwei Innenhöfe. Hier wohnen die Menschen in abgeschlossenen Wohnungen unterschiedlicher Größe, vom Einzimmerapartment bis zur Fünf-Personen-Wohngemeinschaft.

In Friedrichsdorf sind es zwei Häuser, sie sind verbunden über eine gemeinsame Terrasse sowie zwei riesige Balkone im ersten und zweiten Stock. Im ersten Haus wohnen Menschen mit größerem Unterstützungsbedarf, das andere teilen sich selbstständigere Bewohner. Beide Einrichtungen unterscheiden sich auf den ersten Blick nicht von anderen Wohnhäusern, sie sind auch nicht mit NRD-Schildern gekennzeichnet. Sogar der informierte Besucher glaubt sich im Betreuten Wohnen. Tatsächlich handelt es sich in beiden Fällen um Einrichtungen der stationären Behindertenhilfe.

Die meisten Bewohner, sofern sie sich nicht im Ruhe- oder Krankenstand befinden – gehen tagsüber einer Beschäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung oder einer Tagesstätte nach. In beiden Fällen handelt es sich um Einrichtungen anderer Träger. Ab 16 Uhr wird es dann lebendig in den Häusern. Weitere Teammitglieder haben ihren Dienst begonnen. Es gilt, den Alltag zu regeln, individuell mit dem einzelnen Bewohner. Das Abendessen wird geplant, Wäsche gewaschen. In Friedrichsdorf treffen sich einige Bewohner in der gemütlichen Wohnküche und singen gemeinsam ein paar Lieder. Anschließend geht es gemeinsam zum Eis essen.

Die Besucher nehmen am Geschehen teil, fragen, erhalten Auskunft von dem Teams und den Bewohnern. Das Interesse ist groß aneinander. Man tauscht sich aus darüber, wie das Zusammenspiel zwischen zentraler Verwaltung und dezentralem Wohnbereich verbessert werden kann. Es bedarf nur geringer Anpassungen, stellen beide Seiten fest. Das Verständnis füreinander ist vorhanden, es ist ganz selbstverständlich. Es braucht häufigere Begegnungen, Besuche aus der Verwaltung in den Regionen, das wünschen sich alle. Schließlich arbeitet man im selben Unternehmen, am selben Ziel. Es geht nur gemeinsam.
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